Willibald Kaltenbrunner im Interview

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Lieber Willibald, als Managing Partner und jahrelanges Teammitglied bist du ein bekanntes Gesicht der denkstatt. Seit nunmehr 25 Jahren trägst und gestaltest du die Entwicklungen des Unternehmens mit. Dabei zeichnet dich besonders deine Nähe zu den Kunden der denkstatt aus, für die du häufig der erste Ansprechpartner bist, etwa wenn es um erste Anfragen oder Projekte geht. Aus deiner Beobachtung heraus: Mit welchen Herausforderungen müssen Unternehmen aktuell in Bezug auf Nachhaltigkeit umgehen?

Willibald Kaltenbrunner: Die größte Herausforderung ist sicherlich, dass sich das Thema Nachhaltigkeit immer mehr von einem Trend, als dass es ursprünglich von vielen angesehen wurde, zu einem integralen Bestandteil im Business entwickelt. Es zeigen sich zum Beispiel Tendenzen, dass sich in immer mehr Unternehmen die Nachhaltigkeitsabteilungen auflösen und die Expertise in die einzelnen Abteilungen wandert. So ist in Funktionen wie im Manufacturing oder in der Beschaffung immer mehr Wissen zu Nachhaltigkeit erforderlich. Und das führt zu der noch größeren Herausforderung. Denn das Nachhaltigkeitswissen muss in alle Prozesse hineinfließen. Früher hat es genügt, einen oder im besten Fall, ein paar Verantwortliche im Unternehmen zu haben, die für die Nachhaltigkeitsagenden zuständig waren. Das Thema Nachhaltigkeit hat sich aber zu einer so komplexen Angelegenheit entwickelt, dass Unternehmen schlichtweg anders denken müssen. Und das zu schaffen ist eine große Leistung.

Daran gleich anschließend: Was machen diejenigen richtig, die genau diese Verankerung von Nachhaltigkeit in der Organisation und in den Prozessen schaffen?

Da gibt es aus meiner Sicht zwei Aspekte. Erstens: Unternehmen, denen das gelingt, beschäftigen sich meist schon viele Jahre mit dem Thema Nachhaltigkeit. Sie haben schon eine längere Reise hinter sich, die auch notwendig war, um die Organisation in diese Richtung zu lenken. Zweitens: Diese Unternehmen haben eine extrem ausgeprägte Klarheit darüber, warum sie das alles machen und welchen Benefit sie daraus ziehen. Und dieser Benefit kann sich in unterschiedlichen Dimensionen zeigen, zum Beispiel in Kostenvorteilen, oder in einer besseren finanziellen Struktur im Allgemeinen. Die eigene Reputation oder Attraktivität als Arbeitgeber gehören auch zu den Vorteilen, die diese Unternehmen für sich erkannt haben. Außerdem gelingt es ihnen, diese Klarheit intern zu verbreiten, sodass alle wissen, zu was sie beitragen und dies dann auch gekonnt nach außen zu transportieren.

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Nachhaltigkeitsberatung?

Wenn wir jetzt ganz weit zurückblicken – so 15 oder 20 Jahren in die Vergangenheit – da haben wir uns den Spaß erlaubt, zu sagen, dass wir in eine der letzten Ecken des Unternehmens gegangen sind, wenn wir bei Kund*innen vor Ort waren. Das Thema Nachhaltigkeit war einfach so irrelevant. Es hatte keine Priorität. Wir haben dann immer mehr mit den EHS-Abteilungen zusammengearbeitet. Mittlerweile hat das Thema aber eine so hohe Relevanz bekommen, dass unsere Ansprechpartner*innen in der ersten oder zweiten Managementebene sitzen. Da werden natürlich andere Fragestellungen behandelt. Konzepte und Vorschläge werden hier auch weitaus kritischer beäugt und mehr hinterfragt. Qualität war schon immer unser Anspruch, aber es braucht heute andere Gespräche und Argumente, um die Menschen von unseren Vorschlägen zu überzeugen.

Und was wir auch beobachten können: Die Komplexität in der Beratung steigt, vor allem, was die Prozesse betrifft. Denn nun haben wir nicht nur die Nachhaltigkeitsabteilungen als Kontaktpunkt auf der Kund*innenseite, sondern arbeiten in den Projekten direkt mit den Expert*innen aus den einzelnen Fachabteilungen zusammen. Dafür mussten wir in der denkstatt die Expertise erweitern und Knowhow auf diesen Fachgebieten aufbauen – das wird auch zukünftig unsere Aufgabe sein. Gleichzeitig punkten wir mit unserer jahrelangen Erfahrung im Nachhaltigkeitsbereich. Das wissen die Personen in den einzelnen Departments sehr zu schätzen, die hier vielleicht auch noch nicht so viele Vorkenntnisse mitbringen. In Summe ergänzt sich das dann sehr gut.

Aber was all diese Entwicklungen deutlich zeigen, und das begrüße ich sehr: Es ändert sich nun wirklich was. Nachhaltigkeit wird plötzlich Teil der Unternehmensstrategie. Wir sehen, dass sich Produkte und Prozesse tatsächlich verändern. Und daran mitzuwirken, ist ein wirklich gutes Gefühl und es macht einfach Spaß zu sehen, welchen Impact wir gemeinsam erzeugen.

Aus welchen Gründen nehmen Unternehmen denn eine Beratung durch die denkstatt in Anspruch? Welche Veränderungen lassen sich hier vielleicht auch über all die Jahre feststellen?

Ich glaube, die Gründe, weshalb eine Nachhaltigkeitsberatung angefragt wird, haben sich kaum verändert. Aus meiner Sicht sind das nach wie vor zwei: Knowhow und Ressourcen. Viele Kund*nnien kommen zu uns, weil sie das Rad nicht neu erfinden wollen. Unsere Routine in der Abwicklung von Nachhaltigkeitsprojekten und unsere jahrelange Erfahrung sind hier ein grundlegendes Argument. Anderen Kund*innen fehlen die nötigen Ressourcen für bestimmte Projekte, die sie deshalb an uns auslagern. Was sich jedoch in der Zwischenzeit verändert hat, sind die Marktanforderungen. Da tauchen Compliance-Anforderungen auf, die man plötzlich erfüllen muss. Der Kunde des Kunden klopft ständig an und erwartet eine Veränderung. Die Endverbraucher*innen stellen kritische Fragen. Dann kommen natürlich die Rating-Agenturen dazu, Finanzgeber*innen und Investor*innen. Der Druck von allen Seiten steigt und das hilft der Motivation auf die Sprünge, die Nachhaltigkeitsthemen anzugehen.

Welche branchenspezifischen Trends kannst du feststellen?

Was wir vor allem sehen können, sind die Veränderungen in der gesamten Financial Service Industry. Die gesetzlichen Entwicklungen haben einen enormen Einfluss auf die Branche. Da spielt zum Beispiel die Berechnung und Reduktion von Financed Emissions eine große Rolle. Das heißt, dass sich Unternehmen im Finanzsektor damit befassen müssen, wie ihre Finanzströme einen Beitrag dazu leisten, Treibhausgasemissionen zu senken. Dadurch hat sich innerhalb der Branche sehr viel getan.

Durch die multiplen Krisen und die Entwicklungen der letzten Jahre hat der Energiesektor mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen. Und das hat natürlich auch einen Einfluss auf alle anderen Branchen. Von den steigenden Energiepreisen sind vor allem energieintensive Industrien betroffen.

Aus meiner Sicht hat der Retail Sektor eine ganz starke und auch spezielle Rolle, was Nachhaltigkeit betrifft. Denn Unternehmen dieser Branche sitzen an einem wichtigen Hebel zur nachhaltigen Entwicklung und positionieren sich mitunter als Vorreiter, was die Umsetzung von Nachhaltigkeitsagenden betrifft. Gleichzeitig hat der Handel eine große Bedeutung für die Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn ich so darüber nachdenke, besteht zwischen dem Food and Beverage Sektor eine besondere Nähe zum Menschen. Lebensmittel sind einfach Lebensgrundlage. Was wir essen ist außerdem sehr persönlich. Insofern ist das für mich eine spannende Branche. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind hier häufig ein wichtiger Treiber, was zu einer eigenen Dynamik führt und die Arbeit an Nachhaltigkeitsthemen begünstigt. Deswegen sind sie aus meiner Erfahrung oft schon eine Spur weiter als Unternehmen anderer Branchen.

Nachhaltigkeit ist für viele Unternehmen ja auch ein Wettbewerbsaspekt, der die eigene Positionierung innerhalb der Branche stärkt. Welche Unterschiede gibt es hier im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten?

Mittlerweile sind die Tools und Methoden viel klarer als noch vor 15 Jahren. Das ist ein wichtiger Unterschied. Nehmen wir mal das Greenhouse Gas Protocol her. Der Inhalt ist hochkomplex, schafft aber eine Klarheit darüber was zu tun ist. Vor 15 Jahren hat es auch keine Science-based Targets gegeben. Jetzt steht allen ein Standard zur Verfügung, der die Ziele genau vorgibt und für die Umsetzung in einzelne Schritte herunterdekliniert werden kann. Durch diese vielen Tools und Methoden haben wir heute eine ganz andere Grundlage als noch vor 15 Jahren. Für die Unternehmen heißt das: Der Wettbewerb um die beste Nachhaltigkeitsleistung steigt und die Differenzierung ist nicht mehr so einfach wie früher.

Schauen wir uns mal den Dow Jones Sustainability Index an. Die Top 5 Unternehmen kennen sich in und auswendig. Da geht es um jeden Punkt auf dem Weg zum Platz 1. Das ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das heißt jetzt nicht, dass das Positionieren im Vergleich zum Wettbewerb nicht mehr funktioniert. Ganz im Gegenteil. Aber Unternehmen müssen sich intensiv mit ihren Wirkungen befassen, um einen eigenen Weg zu finden, der dann aber gleichzeitig wissenschaftsbasiert sein muss. Die Positionierung gelingt dann über neue Themen, wie zum Beispiel Biodiversitätsmanagement. Wer sich damit befasst, kann sich nach wie vor vom Wettbewerb gut abheben. Und unser Job bei denkstatt ist es, unsere Kund*innen auch in diesen Aspekten zu beraten und zu begleiten.

Ganz persönlich gesprochen: Wie erlebst du die Nachhaltigkeitsberatung?

Nachhaltigkeitsberatung ist einfach unglaublich spannend und lehrreich, aber auch fordernd. Es war für mich auch nicht immer einfach. Aber wenn ich so zurückdenke, habe ich in den Projekten am meisten gelernt, die am herausforderndsten waren und vielleicht auch etwas wehtaten. In solchen Situationen ist eine unglaubliche persönliche Entwicklung möglich. So habe ich es zumindest erlebt. Ich habe über die Jahre gelernt, mich in meiner Rolle als Berater gut abzugrenzen. Das halte ich für sehr wichtig, damit der Job Spaß macht und man ihn so lange machen kann. In jedem Fall brauch es eine Portion Abenteuerlust und ich denke, auch das persönliche Interesse, Neues zu lernen, kann nicht schaden. So bin ich als Person zum Beispiel gestrickt und diese Eigenschaften haben mir sicherlich in all den Jahren bei denkstatt geholfen.

Auch die gemeinsamen Erfolgserlebnisse mit Kund*innen sind für mich absolut motivierend. Das Erleben dieser Momente hat sich aber verändert. Projekte werden häufig online abgewickelt, auch Projektabschlüsse. Das Erfolgserlebnis ist natürlich da und wir sind durch diese Arbeitsweise effizienter, aber es fehlen die persönlichen Momente miteinander. Hier wünsche ich mir, dass wir gemeinsame Momente wieder mehr in den Mittelpunkt rücken und sie häufiger stattfinden. Ich glaube, das ist für die eigene Motivation und auch für das Erleben unserer Kund*innen essenziell. Auch für unsere Mitarbeitenden halte ich das Feiern von Erfolgen mit dem ganzen Projektteam für ausschlaggebend. Es ist eine wichtige Komponente, um sich die Freude an dem Job zu bewahren.

Wenn du an all die Jahre denkst, die du nun in der denkstatt verbracht hast: Worauf bist du stolz?

Ich bin stolz, dass wir so sind, wie wir sind. Und stolz darauf, dass wir einen so coolen Drive als Team haben. Wir haben einen eigenen Spirit und eine eigene Dynamik und die merkt man auch von außen. Das hilft uns, erfolgreich zu sein und Talente anzuziehen, die Teil unseres Teams werden wollen. Auch wenn wir an internationalen Konferenzen teilnehmen, egal wo in Europa, ist denkstatt ein Begriff. Christian Plas hat da etwas Besonderes geschafft. Worauf wir bei denkstatt jetzt blicken dürfen, haben wir uns in den letzten 30 Jahren hart erarbeitet. Darauf können wir stolz sein.

Ein schönes Abschlusswort. Danke für das Interview.

Vielen Dank.

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